Concerto preventivo

Es geht doch nichts über einen entspannten Konzert- oder Opernbesuch. Entspannt ja, aber nicht für alle. Sobald der Vorhang sich öffnet, gehen Orchester und Dirigent in eine Art Konditionstest, eine physische Anstrengung an der Grenze zum Leistungssport.
Eine Tuba wiegt beispielsweise zwischen sieben und dreizehn Kilo, dazu der ungeheure Kraftakt des Blasens. Der einzelne Musiker muss sich auf die völlige Integrität seines Körpers und Geistes verlassen können. Der in dem Zusammenhang häufig zu hörende Vergleich von Orchestermusikern mit Leistungssportlern hinkt dann aber doch: Während letztere nicht selten mit Mitte 30 aus dem aktiven Dasein ausscheiden, haben Berufsmusiker in der Regel 30 weitere Jahre vor sich.
In den Kinderschuhen
Das Dilemma offenbart sich noch an derer Stelle: So klafft im gesundheitlichen Bereich eine riesige Lücke. Während Sportmedizin und Sportphysiotherapie anerkannte Fachbereiche darstellen, steckt die sogenannte Musikermedizin oder so etwas wie Physiotherapie für Musiker in den Kinderschuhen. Ein „Melodram“, wenn man bedenkt, dass etwa jeder achte Berufsmusiker seinen Job vorzeitig an den Nagel hängen muss, weil ihn musikindizierte Gesundheitsprobleme plagen.
Es geht auch anders, wie eindrucksvoll ein Projekt beweist, das auf Anregung des Sächsischen Musikrats e.V. gemeinsam mit der AOK PLUS ins Leben gerufen wurde und das im deutschlandweiten „Concerto preventivo“ eine Sonderstellung einnimmt. Sonderstellung, weil sich der Gedanke der Gesundheitspflege – im Sport mit Aufwärmübungen, individueller Gymnastik und ausgleichendem Krafttraining seit langem gang und gäbe – in der Musik erst noch durchsetzen muss.
Wie im Trainingslager
Ein Anfang ist gemacht: Wie im Trainingslager einer Mannschaft wurden die Musiker des Landesjugendorchesters Sachsen während ihrer 2x jährlich stattfindenden Probenwochen gecoacht. Nach der Erhebung der gesundheitlichen Situation einschließlich ihrer Risiken und Potenziale wurden Vorschläge zur Verbesserung sowie zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten entwickelt und umgesetzt. Dabei standen Themen wie Lampenfieber, Auftrittsangst oder Gehörschutz ebenfalls auf der Agenda.
Das Paket, welches die AOK PLUS und die extra eingeladenen Experten geschnürt hatten, stieß bei den jungen Musikern auf offene Ohren. Rund 80 Prozent wurde durch das Üben bewusst, dass körperliche Fitness die Voraussetzung für eine gute Leistung beim Musizieren ist. Zugleich wurde bei vielen der Wille erzeugt, die gelernten Übungen zu Hause eigenständig fortzuführen. Letztlich liegt es in der Verantwortung des Einzelnen, mit dem Gut Gesundheit bewusst umzugehen.
Das Leid anerkennen
Wenn ich das nächste Mal andächtig in einem Konzert sitze, werde ich den Orchestergraben sicher mit etwas anderen Augen betrachten. Dass die Belastungen groß sind und von einer breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, kann nicht wirklich zufriedenstellen. Das Leid anzuerkennen, um sich in einem zweiten Schritt für eine Verbesserung einzusetzen, ist aber ein Umstand, der Applaus verdient.
Weitere Informationen enthält die Broschüre „Fit für Musik“.