Endstation Drogenhölle

Ein Mann mit Kapuze erscheint auf einem Bildschirm, sein Gesicht ist nicht zu erkennen. Doch was er zu sagen hat, schockt: „Ich will euch meine Geschichte erzählen. Es sollte aber nicht eure werden. Warum? Weil ich schon tot bin.“
Erlebnisprogramm statt Vortrag
So beginnt für die 12 und 13 Jahre alten Schüler des Bildungszentrums Adam Ries aus Annaberg-Buchholz die Reise durch den 150 Meter langen Anti-Drogenzug. Und es beginnt die Geschichte von Petra und Marcel, die nur ein paar Jahre älter sind. Jedem wird schnell klar, hier findet keine klassische Drogenaufklärung statt. Vielmehr werden in den nächsten sechs Waggons die Realitäten zwischen Kurzfilm und realer Umgebung hautnah verschwimmen.
Im Strudel der Sucht
Nach der ersten Zigarette und dem ersten Bier wird im dritten Kurzfilm ordentlich gefeiert. Altbackene Techno-Musik dröhnt aus den Boxen, noch können die Schüler lachen und sehen, wie Marcel und Petra viel Alkohol trinken. Nach der Party steigen die Jugendlichen zu einem betrunkenen Freund ins Auto, es kommt zu einem Unfall, ein Mensch stirbt. Plötzlich verschwindet die Leinwand und der kleine gelbe Skoda taucht völlig zertrümmert dahinter auf. Die Kids gucken staunend auf das Autowrack und bemerken erst später, dass es sich um dasselbe Auto wie aus dem Film handelt. Das hinterlässt Eindrücke, die wohl keiner so schnell wieder vergisst.
Und so setzt sich der Besuch der Schüler fort. Sie begegnen Situationen, mit denen sie im normalen Leben kaum konfrontiert werden. Sie schlüpfen in die Rolle eines geschnappten Drogendealers und werden in eine U-Haft-Zelle gesperrt. In einer nachgebildeten Junkie-Wohnung sehen sie das ganze Elend des Drogenhorrors.
Jeder muss für sein eigenes Leben entscheiden
Die Schüler werden im Laufe der Reise vom Zuschauer zum Beteiligten. Ein Fragebogen und geschulte Moderatoren begleiten die Schüler bei ihrem ganz persönlichen „Trip“. Der erste Zug an der Zigarette oder betrunken Auto fahren. Wie hättest Du gehandelt? Fragt immer wieder der Erzähler. Für einen kurzen Moment Getuschel im Waggon. Jetzt muss jeder für sein eigenes Leben entscheiden und ankreuzen. Wegklicken, wegsehen oder weggehen ist nicht möglich. Es gibt kein zurück. Die Fragebögen werden später ausgewertet und anonymisiert der Schule und der Kommune zur Verfügung gestellt.
Drastische Bilder
Weitere Filme werden gezeigt, es sind drastische Bilder, die die Schüler sehen müssen. Marcel spritzt sich Heroin, Petra geht auf den Strich. Beide rutschen immer weiter ab, landen im Drogensumpf. Am Ende wird Petra von ihrer Freundin in letzter Sekunde vor dem Tod gerettet – mit einem Baby im Bauch. Mit Hilfe der Familie kommt sie von den Drogen los. Marcel gelingt das nicht, er setzt sich schließlich den goldenen Schuss.
„Ich fand es schockierend“
Für viele Kids eine beklemmende Situation. Damit sich die Schüler in diesem Gefühlschaos nicht ganz verloren fühlen, helfen die engagierten Moderatoren wie Jessica weiter. Sie ordnen das Gesehene ein, hinterfragen, und lotsen die Schüler durch die Waggons. Im letzten Waggon hängen unzählige bunte Zettel an den Wänden mit Kommentaren der Besucher. Zu 90 Prozent positiv, wie Jessica erzählt. Und auch die Annaberger Schülergruppe kommt nach anderthalb Stunden beeindruckt und nachdenklich aus den Waggons heraus.
„Ich fand es schockierend zu sehen, wie Drogen einen Menschen kaputt machen können“, zeigt sich Aliena tief bewegt. Die Klassenlehrerin lobt die realitätsnahe Darstellung und steigt mit gemischten Gefühlen aus: „Ich musste selbst miterleben, wie eine Schülerin von mir durch Alkoholeinfluss beim einem Autounfall ihr Leben verloren hat.“
Kinder selbstbewusst machen

Marcel Ladka (li.), Projektkoordinator und Pavel Tuma, Vater des Projekts, vor dem Zug in Annaberg-Buchholz.
Der Kopf des ganzen Projekts ist Pavel Tuma. Er hatte die Idee für den Anti-Drogen-Zug. Er ist zudem Stiftungsgründer, Projektautor und schrieb das Drehbuch für die Kurzfilme. Es sollte aber zehn Jahre dauern, bis im Frühjahr 2015 der Zug seine ersten Gäste empfangen konnte. Seine Intention ist es, dass Jugendliche genügend Selbstbewusstsein entwickeln, nein sagen zu können:
von Pavel TumaDie Schüler sollen mit all ihren Sinnen erleben, wie schnell man der Versuchung erliegen kann und was die Droge mit einem Menschen macht.
Riesiger Andrang
Bis zu 440 Personen können den „Revolution Train“ pro Tag besuchen. In Annaberg waren es sogar etwas mehr. Der Andrang war bereits am zweiten Tag riesig. Die Öffnungszeiten mussten um zwei Stunden verlängert werden.
Vor dem Hintergrund der aktuell besorgniserregenden Lage im deutsch-tschechischen Grenzgebiet ist der „Revolution Train“ eine mehr als innovative Lösung zur Aufklärung junger Menschen. Denn in Sachsen ist der Zahl der Drogentoten im vergangenen Jahr so stark angestiegen wie in keinem anderen Bundesland.
Wo der Anti-Drogenzug im nächsten Jahr halten wird, steht noch nicht fest. Die Macher sind noch auf der Suche nach Partnerstädten und Schulen in Deutschland.